Die offiziellen Verhandlungen über den türkischen EU-Beitritt laufen schon seit Oktober 2005, doch handfeste Fortschritte wurden bisher kaum erzielt. Insgesamt 35 Kapitel zum Acquis communautaire, dem Grundstock jener europäischen Rechtsakte, die jeder Beitrittskandidat vor der Mitgliedschaft übernehmen muss, werden dabei abgearbeitet.

Vorübergehend abgeschlossen ist bisher nur eines dieser Kapitel - bei Wissenschaft und Forschung wurde schon 2005 eine Einigung erzielt. Die Verhandlungen zu acht weiteren Kapiteln sind dagegen seit 2006 eingefroren. Damals hatte sich die Türkei geweigert, das Ankara-Protokoll zu un terzeichnen, das die Ausdehnung der bestehenden Zollunion mit der EU auf die zehn neuen Mitglieder regelt - darunter auch Zypern, das das Gebiet der Republik Nordzypern beansprucht, die nur die Türkei als Staat anerkennt.

Gute Noten bekam das Land 2011 von der EU-Kommission zum freien Warenverkehr, zur Wirtschafts- und Währungspolitik, zur Zollunion und zu den Außenbeziehungen. Fast volle Übereinstimmung mit den EU-Vorgaben wurde außerdem in der Industriepolitik attestiert.

"Keinerlei Fortschritte" sahen die EU-Experten dagegen bei Reformversuchen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs. Zu wenig gehe außerdem beim Thema Umwelt voran.

Ein weiterer Kritikpunkt sind die "fundamentalen Rechte": Der Bericht bemängelt Defizite bei der Meinungsfreiheit, etwa den Druck von Justiz und Regierung auf Akademiker und Intellektuelle. Außerdem gebe es Probleme bei der Versammlungsfreiheit, vor allem in den Kurdengebieten. Nicht schnell genug gehen den Beobachtern schließlich auch die Reformen beim Gebrauch der kurdischen Sprache in Medien und bei Behörden und im Bereich der Frauenrechte. (mesc, DER STANDARD, 6.8.2012)